Vier süße Alpakas gehören zu der Hauptattraktion eines Bauernhofes. Doch über Nacht verschwinden drei der Tiere spurlos. Die Polizei hat den Fall bereits dokumentiert, konnte aber bisher keine Spuren zum Verbleib der Tiere finden. Die Bäuerin fühlt sich machtlos und ist um das Wohlergehen ihrer Alpakas besorgt. Deshalb beauftragt sie zusätzlich die vier Kinderdetektive Ingo, Georg, Enzo und Lisa, um die Tiere zu finden. Da gerade die Sommerferien begonnen haben, kommt den Kindern der Auftrag sehr passend. So fahren sie zum Gutshof der Auftraggeberin nach Otterberg, gehen der Sache auf den Grund und erleben dabei ein tolles Abenteuer.

1. Ein Auftrag zur rechten Zeit
Die Sommerferien hatten gerade begonnen. Die Sonne brannte am frühen Morgen unerbittlich vom tiefblauen Himmel herab. Es war so heiß, dass die Luft flimmerte und der Asphalt der Straßen einen sonderbaren Geruch verströmte. Die Leute in der kleinen Kurstadt Bad Bergzabern sehnten sich nach einem kühlen Erfrischungsgetränk und standen vor der Hofeinfahrt von Familie Seifert Schlange.
Eine Melodie summend wuselte Lisa hinter ihrem Limonadenstand umher und füllte frische Zitronenlimonade in bunte Becher ab. »Bitteschön, eine frische Limonade. Der Nächste bitte.«
Viele Becher gingen über den Verkaufsstand, doch der Menschenandrang wurde nicht geringer. Lisa legte einen Zahn zu. In den nächsten Minuten aber kamen immer mehr Menschen und der Andrang am Limonadenstand wurde beängstigend.
»Moment bitte«, bat das Mädchen ihre Kunden. Sie nahm ihr Funkgerät unter dem Verkaufstisch hervor. »Jungs? Ich brauche dringend eure Hilfe! Macht bitte schnell!«
Georg, Enzo und Ingo lagen auf der Wiese im Schatten eines Kastanienbaumes hinterm Haus. Umgeben von zwitschernden Vögeln und summenden Bienen, lasen sie in ihren Büchern. Als sie Lisas aufgeregte Stimme durchs Funkgerät hörten, horchten sie auf.
Ingo schnappte sich das Funkgerät. »Beruhige dich, Schwesterchen. Wir kommen gleich.«
Die drei Jungen sprangen auf und eilten ums Haus herum zur Hofeinfahrt. Lisa war heilfroh, sie zu sehen und warf ihnen einen dankbaren Blick zu.
»Das Geschäft scheint ja heute besonders gut zu laufen«, amüsierte sich Enzo.
»Etwas zu gut«, antwortete Lisa ein wenig gestresst. »Könnt ihr mir bitte helfen? Ich muss einen Nachschub an Biozitronen kaufen und mehr Limonade zubereiten.«
»Kein Problem, ich gehe zum Supermarkt und hole die Zitronen«, meldete sich Georg freiwillig.
»Ich werde dich ablösen und derweil weiter ausschenken«, bot sich Ingo an und rückte seine Brille zurecht. »Eigentlich ist es ja so, dass Angebot und Nachfrage richtig kombiniert sein sollten. Hättest du das beachtet, wäre der Kundenandrang nicht so groß.«
»Was meinst du damit?«, fragte Lisa interessiert. »Meinst du, ich sollte den Preis anheben?«
»Exakt das meinte ich. Du verkaufst den Becher Limonade für nur 50 Cent. Wenn du ihn für einen Euro anbietest, werden weniger Kunden kommen. Du hättest weniger Arbeit, bräuchtest weniger Material und hättest nahezu die gleichen Einnahmen. Ich kann das für dich regeln, wenn du erlaubst.«
Lisa zuckte mit den Schultern. »Gut, ich vertraue dir, Ingo. Wenn du meinst, lasse ich dir in der Preisgestaltung freie Hand. Vergraul mir aber bitte nicht meine Kunden.«
»Ich nehme einen Becher auch für einen Euro«, sagte der Junge, der gerade an der Reihe war und das Gespräch mitgehört hatte. »Das ist er mir wert.«
»Ich werde dir helfen, Limonade anzurühren, Lisa«, erklärte sich Enzo bereit.
Während Ingo den Verkaufsstand führte und Enzo mit Lisa ins Haus ging, machte sich Georg auf den Weg zum Supermarkt, um Zitronen zu besorgen.
Enzo und Lisa wuschen sich die Hände, gingen in die Küche und zogen ihre Schürzen an. Zuerst pressten sie Zitronen aus. Danach rührten sie Zucker hinein und mischten kaltes Wasser dazu. Zum Schluss gaben sie eine Handvoll Eiswürfel hinein und füllten die Limonade in gereinigte, gläserne Milchflaschen ab, wobei die Eiswürfel ein klirrendes Geräusch erzeugten. Im Handumdrehen hatten sie 5 neue Flaschen Zitronenlimonade hergestellt. Enzo und Lisa schenkten sich einen Becher ein, um die Limonade zu kosten und nahmen einen kräftigen Schluck.
»Deine Limonade schmeckt lecker fruchtig und sehr frisch«, schwärmte Enzo.
»Ja, sie schmeckt sehr lecker«, war selbst Lisa überrascht. »Das muss an den Zitronen und am Mischungsverhältnis von Saft, Zucker und Wasser liegen.«
Hurtig brachten sie die Küche in Ordnung, dass Frau Seifert nicht geschockt sein würde, wenn sie vom Einkaufen zurückkommt. Anschließend brachten sie die Limonadenflaschen nach draußen.
»Hey, die Schlange ist kleiner geworden«, stellte Enzo fest, als er die wenigen Leute am Verkaufsstand sah.
»Genial, da bin ich echt froh«, war Lisa erleichtert. Doch die Freude währte nur kurz, denn als sie das Preisschild sah, traute sie ihren Augen nicht. »Weshalb kostet ein Becher jetzt 3 Euro?«, fragte sie ihren Bruder vorwurfsvoll. »Bist du von Sinnen, Ingo? Wie konntest du den Preis von 50 Cent auf unverschämte 3 Euro anheben?«
»Du irrst dich, denn ich habe den Preis nicht von 50 Cent auf 3 Euro erhöht«, rechtfertigte sich Ingo. »Ich bin schrittweise vorgegangen. Erst 1 Euro, danach 2 Euro und jetzt 3 Euro. Trotzdem kommen immer noch genügend Kunden. Ich schätze mal, deine Limonade schmeckt besonders gut.«
»Ja, sie schmeckt wirklich gut«, bestätigte Enzo.
»Ja«, rief eine Frau aus der Schlange. »Ich habe heute schon drei Becher davon getrunken.«
Ingo runzelte die Stirn. »Aber gute Frau?! In der Limonade sind Zucker und Fruchtsäure enthalten. Man sollte davon nicht mehr als ein bis zwei Becher am Tag trinken.«
»Oh, danke für die Information. Ich trinke nur noch einen Becher, dann ist Schluss für heute«, versicherte die Frau, der es ein wenig peinlich war, von einem 12-jährigen Jungen aufgeklärt werden zu müssen. Ingo war aber kein gewöhnlicher Junge, denn er war überdurchschnittlich schlau.
Im selben Moment kam Georg mit dem Einkaufskorb voller Zitronen zurück und stellte diesen auf den Limonadenstand. »Hier sind deine Biozitronen, Lisa.«
»Danke, Jungs. Ihr habt mir sehr geholfen. Jetzt komme ich alleine klar«, bedankte sich Lisa für die Hilfe und gab Georg sein Geld, das er für die Zitronen ausgegeben hatte. »Vielen Dank für die Hilfe.«
»Jederzeit gerne, Schwesterherz«, sagte Georg melodisch.
»Falls sich erneut eine Schlange bilden sollte, werde ich euch sofort anfunken«, bemerkte Lisa und gab jedem der Jungen einen Becher Limonade mit. »Ihr habt sie euch redlich verdient.«
Lisa kümmerte sich weiter um den Verkauf der Limonade. Die Jungen legten sich auf die Wiese hinterm Haus und lasen weiter in ihren Büchern.
Gegen Mittag rief Frau Seifert zum Mittagessen. Während sich die Jungen Frikadellen mit Salzkartoffeln und Erbsen-Möhrengemüse schmecken ließen, beobachteten sie durchs Fenster Lisa, die am Limonadenstand ihre Kunden bediente.
»Sie hätte ruhig den Stand über Mittag schließen können und mit uns essen können«, bedauerte Enzo.
»Sie hat bestimmt zu viel Angst, dass sich wieder eine Schlange bilden könnte«, glaubte Georg.
»Lasst sie doch, wenn es ihr solch großen Spaß macht«, sagte die Mutter. »Sie kann ja später essen.«
Nach dem Essen löste Georg seine Schwester ab, die dann ebenfalls zu Mittag aß, bevor sie sich wieder an ihren Stand stellte und weiter Limonade verkaufte.
Bis zum Nachmittagstee verbrachten die Jungen die Zeit lesend hinter dem Haus. Lisa blieb unterdessen an ihrem Limonadenstand. Den Tee und den Marmorkuchen nahmen die Jungen mit raus zu Lisa, um gemeinsam Teezeit zu machen. Der Zeitpunkt war günstig, denn es waren in diesem Moment keine Kunden da. Nach dem Tee nahm Ingo Georg mit auf sein Zimmer. Enzo blieb bei Lisa am Limonadenstand und leistete ihr Gesellschaft. Der Abend rückte näher. Herr Seifert kam angefahren und parkte sein Auto in der Garage. »Hallo, Kinder. Na, seid ihr fleißig?«
»Hallo, Herr Seifert«, rief Enzo grinsend. »Lisa ist fleißig und schaue ihr dabei zu.«
»Hallo, Papa«, grüßte Lisa zurück. »Ja, ich habe meinen Limonadenstand wieder aktiviert.«
Enzo schaute auf seine Armbanduhr. »Hey, es ist gleich 19 Uhr und bald gibt es Abendbrot. Wir sollten sofort Feierabend machen und alles zusammenpacken. Meinst du nicht auch?«
»Gewiss doch.« Lisa nickte zufrieden. »Fast alle Flaschen sind leer und es war mindestens seit 20 Minuten kein Kunde mehr da. Das war ein sehr erfolgreicher Tag für mich und meinen Limonadenstand.«
Die beiden Freunde bauten den Verkaufsstand ab und brachten die Teile in die Garage. Die leeren Flaschen nahmen sie mit in die Küche. Das Abendbrot stand bereit und alle saßen bereits am Tisch. Enzo und Lisa grüßten die kleine Gesellschaft und setzten sich dazu.
»Wie lief es mit eurem Verkaufsstand?«, interessierte sich der Vater.
»Es lief echt klasse. Ich habe heute ungefähr 100 Euro verdient«, berichtete Lisa stolz.
»Wie bitte?«, stutzte die Mutter. »Ein Becher Limonade kostet 50 Cent … Bedeutet das, du hast 200 Becher verkauft?«
Lisa schüttelte den Kopf. »Nein, ich habe keine 200 Becher verkauft, denn ein Becher kostet jetzt 3 Euro. Eigentlich wollte ich mit dem Stand 10 bis 15 Euro am Tag verdienen, das hätte mir gereicht. Ich mache das ja, weil es Spaß macht und nicht, um mich zu bereichern. Einen Teil des Geldes werde ich auf jeden Fall an ein Tierheim spenden.«
»Das ist schön«, freute sich die Mutter. »Aber sind 3 Euro nicht zu viel für einen Becher Limonade?«
»Das dachte ich zuerst auch, aber Ingo hat den Preis erhöht, um den Kundenandrang zu senken«, stellte Lisa klar und war richtig stolz auf ihren schlauen Bruder.
»Das war auch gut so«, schaltete sich Georg ein und grinste breit. »Denn vorher gab es einen Massenansturm auf Lisas Limonadenstand. Sie wusste gar nicht mehr, wo ihr der Kopf steht und hätte fast geheult. Das hättest du echt sehen sollen, Mama.«
»Übertreibe nicht, Georg«, rügte Lisa. »Es war stressig, aber geheult hätte ich nicht.«
»Nachdem wir den Preis erhöht hatten, kamen weniger Kunden.« Ingo lächelte zufrieden. »Lisa hatte somit weniger Arbeit und verdiente trotzdem genug Geld.«
»Gut gemacht«, lobten Vater und Mutter gleichzeitig.
*
Nach dem Abendbrot, das aus Schwarzbrot, Kräuterfrischkäse und saftigen Tomaten bestand, nahmen sie sich einen Apfel und gingen rauf in Ingos Zimmer.
»Freust du dich eigentlich darauf, morgen den ganzen Tag am Limonadenstand zu stehen, Lisa?«, fragte Georg skeptisch.
Lisa zuckte mit den Schultern. »Warum nicht? Wenn es nicht zu stressig wird, nehme ich ein Buch mit, um ein bisschen zu schmökern. Hoffentlich wird es morgen nicht zu heiß. Trotz Sonnenschirm ist es kein Zuckerschlecken, den ganzen Tag bei praller Hitze in der Einfahrt zu stehen«, gab sie zu.
Ingo grinste verschmitzt. »In dem Fall kannst du froh sein. Denn du kannst deinen Verkaufsstand vorerst schließen, weil wir morgen wegfahren werden.«
»Wir fahren weg? Wohin fahren wir denn?«, interessierte sich Enzo.
»Machst du Witze, Ingo?«, fragte Lisa irritiert.
»Es handelt sich keineswegs um einen Witz, Lisa. Als du mit Enzo den Nachmittag am Limonadenstand verbracht hast, bekamen wir eine E-Mail mit einem Detektivauftrag«, erklärte Georg erfreut. »Wir wollten euch damit überraschen. Mama und Papa wissen Bescheid und haben uns erlaubt, den Auftrag anzunehmen. Wir baten sie, es euch nicht zu verraten, damit wir euch überraschen können.«
»Grandios! Die Überraschung ist euch wirklich gelungen.« Lisa strahlte übers ganze Gesicht. »Der Limonadenstand läuft mir nicht weg. Ich kann ja damit weitermachen, wenn wir zurück sind. Hoffentlich werden mich meine Kunden nicht vermissen. Worum geht es bei dem Auftrag?«
Ingo nahm seinen Notizblock zur Hand. »Einer Bauernfamilie sind drei ihrer vier Alpakas abhandengekommen. Die Tiere waren auf dem Hof eine Attraktion und ein Besuchermagnet. Das bedeutet, dass es auch ein finanzieller Verlust für die Familie ist, weil nur noch ein Tier übrig geblieben ist.«
»Ich liebe Alpakas«, rief Enzo verzückt.
»Jeder liebt Alpakas«, fügte Lisa lächelnd hinzu. »Wir werden die Tiere finden, da bin ich mir absolut sicher.«
Ingo rückte seine Brille zurecht. »Alpakas sind übrigens eine Kamelart aus den südamerikanischen Anden. Sie wurden bereits seit dem Jahr 3000 vor Christus domestiziert, weil sie schöne weiche Wolle liefern.«
»Danke für die interessante Information, Ingo. Der Bauernhof ist übrigens in Otterberg bei Kaiserslautern und unsere Auftraggeberin ist Frau Winter«, informierte Georg, der am liebsten gleich losgefahren wäre.
»Wir müssen genügend Proviant mitnehmen«, stellte Enzo klar und freute sich sehr über den Auftrag.

Auch Lisa, Georg und Ingo waren über den Auftrag sehr glücklich. Sie freuten sich schon sehr darauf, die Ferien auf einem Bauernhof verbringen zu dürfen und dazu noch einen interessanten Detektivfall zu lösen.
Den Rest des Abends waren sie sehr beschäftigt. Sie packten sie ihre Koffer, eilten durchs Haus und suchten alles zusammen, was nur annährend so aussah, als könnte man es für die Reise gebrauchen. Bald stand im Flur neben der Haustür das gesamte Gepäck für die Abreise bereit. Obendrauf lag der Zugfahrplan, den Ingo aus dem Internet ausgedruckt hatte.
Um sich zu beruhigen, bereiteten sie sich als Schlummertrunk eine heiße Milch mit Honig zu und tranken diesen, während sie Karten spielten. Kurz nach 21 Uhr lagen alle in ihren Betten, schliefen tief und fest und träumten voller Vorfreude vom Bauernhof.

2. Der Schnüffler
Lisa erwachte früh am Morgen, als ihr Vater auf dem Weg zur Arbeit aus der Garage fuhr. Das Motorengeräusch entfernte sich, doch da war noch ein anderes Geräusch. War das etwa …? Lisa sprang aus dem Bett, stürmte zum Fenster und zog die pinkfarbene Übergardine zurück. »Oh nein«, rief sie entsetzt.
Sie hatte richtig gehört, es regnete in Strömen und das war gar nicht gut. Wie sollten sie jetzt trockenen Fußes mit all ihrem Gepäck zum Bahnhof kommen?
Auch Ingo im Zimmer nebenan war aufgewacht und hatte das Prasseln des Regens vernommen. Er zog sich an, lief rüber und klopfte an Lisas Zimmertür. »Bist du schon wach, Lisa?«
Lisa kam in den Flur. »Ja, ich bin sogar bereits fertig.«
Auch Georg kam schon angezogen und mit bestürzter Miene aus seinem Schlafzimmer. »Mit dem Wetter haben wir Pech. Bis wir am Bahnhof ankommen, sind wir klitschnass.«
»Schnell, wir müssen Enzo reinlassen, bevor er völlig durchnässt ist und sich noch eine Erkältung holt«, drängte Lisa. »Ihr wisst doch, dass er bei jedem Wetter vor der Haustür wartet, bis wir ihn zum Frühstück reinlassen.«
Die Kinder eilten die Treppen runter und rissen die Haustür auf. Enzo, der sich an die überdachte Tür presste, um nicht nass zu werden, kam hereingestolpert und fiel Georg direkt in die Arme. »Hoppla!«
»Nicht so hastig, Enzo«, lachte Georg.
»Hey, Freunde. Ihr hättet mir ein Zeichen geben müssen, bevor ihr die Tür öffnet«, beklagte sich Enzo. »Fast wäre ich gestürzt.«
»Das war mir gar nicht aufgefallen«, neckte Lisa. »Kommst du nicht jeden Morgen so hereingestürmt, weil du gierig aufs Frühstück bist?«
»Du hast mich ertappt«, scherzte Enzo, worauf alle lachten.
Froh gelaunt kamen sie in die Küche, begrüßten die Mutter und setzten sich an den reichlich gedeckten Frühstückstisch. Knusprige Brötchen, verschiedene Marmeladensorten, Tannenhonig, Zuckerrübensirup, heiße Milch und heiße Schokolade standen bereit. Der Anblick der Köstlichkeiten ließ ihnen das Wasser im Munde zusammenlaufen.
Während sie frühstückten, beobachteten sie durchs Fenster den Regen, der einfach nicht nachlassen wollte. Ein monotones Rauschen drang durchs aufgeklappte Küchenfenster, dicke Tropfen prasselten auf die Fensterbank und in der Hofeinfahrt bildeten sich Wasserpfützen.
»Am besten wäre es, ihr wartet ab, bis der Regen aufhört, bevor ihr zum Bahnhof geht«, empfahl Frau Seifert. »Es nutzt euch ja nichts, wenn ihr euch verkühlt und den Rest der Ferien krank seid.«
»Aber der Zug fährt doch dann ohne uns weg«, meinte Ingo.
»Nehmt doch einfach den nächsten Zug«, schlug die Mutter vor. »Es gehen doch bestimmt täglich mehrere Züge nach Otterberg.«
»Das kann sein, aber ich halte das für keine gute Idee, Mama«, lehnte Georg ab. »Wir wollen so schnell wie möglich dort sein. Schließlich wartet ein wichtiger Auftrag auf uns.«
»So kenne ich euch. Ich hoffe, ihr werdet die entlaufenen Tiere finden«, sagte die Mutter. »Nehmt wenigstens Regenschirme mit, dass ihr nicht so nass werdet.«
»He, das ist eine gute Idee«, rief Lisa. »Wir nehmen unsere Regenschirme mit. Unser Gepäck können wir ja später zum Trocknen in die Sonne legen. Der Regen wird gewiss nicht den ganzen Tag anhalten.«
Ingo nickte zustimmend. »Damit wäre das Problem gelöst und ich kann mich über den Regen freuen. Wenigstens ist es jetzt nicht mehr so brüllend heiß wie in den letzten Tagen.«
Nach dem Frühstück nahmen sie den Proviantkorb, den Frau Seifert für sie vorbereitet hatte, und verabschiedeten sich. Mit ihrem Gepäck und aufgespannten Regenschirmen liefen sie durch die Einfahrt.
Georg warf einen Blick zur Garage, die Herr Seifert offengelassen hatte. »Moment mal!«, rief er und blieb stehen. »Ich glaube, ich habe eben jemand in der Garage gesehen.«
Jetzt hörten sie auch ein Geräusch aus der Garage, das den Regen übertönte. »Oh nein, ein Einbrecher«, befürchtete Lisa. »Was habt ihr vor? Sollen wir nicht lieber die Polizei rufen?«
»Bis die Polizei kommt, ist er längst über alle Berge«, gab Ingo zu bedenken. »Wir müssten ständig mit der Angst leben, dass er jeden Moment wiederkommen und es noch einmal versuchen könnte. Wir sollten den Dieb sofort einsperren.«
Sie stellten ihr Gepäck dicht an der Hauswand ab, damit es ein wenig vorm Regen geschützt ist. Von der Seite her schlichen sie sich zum Garagentor. Ingo gab Handzeichen, dann sprangen alle zur Garage und machten sich bereit, das Tor zu schließen. »Haben wir dich!«, schrie Georg.
Doch sie erblickten nicht das, was sie erwartet hatten. Denn ein blonder Junge stand wie versteinert da, war kreidebleich und starrte die Kinder mit großen Augen an.
»Moment, nicht das Tor zumachen«, bat Ingo, worauf sie ihre Hände vom Garagentor nahmen.
»Hey, Lukas. Was tust du in unserer Garage?«, fragte Lisa völlig perplex. »Das ist Lukas aus meiner Klasse, Leute.«
»Meine Güte«, fuhr Enzo den Jungen vorwurfsvoll an. »Wir wollten schon die Polizei rufen, weil wir dachten, hier sei ein Dieb oder ein Einbrecher zugange. Was soll das? Wolltest du uns ausrauben?«
Lukas senkte schuldbewusst den Kopf und zeigte die Fotokamera, die er in den Händen hielt. »Mit dieser Vermutung hattet ihr gar nicht so falsch gelegen. Ich habe nämlich den Limonadenstand fotografiert, weil ich mir auch so einen bauen möchte. Es tut mir leid, ich werde die Bilder sofort löschen.«
Lisa hob erstaunt die Augenbrauen. »Weshalb willst du die Bilder löschen?«
»Weil ich doch spioniert habe«, antwortete Lukas irritiert.
Lisa schüttelte den Kopf. »Du hast nicht spioniert, du hast dir einfach nur Anregungen für deinen eigenen Limonadenstand geholt. Ich habe doch keine Firma, dass ich Betriebsgeheimnisse hätte?! Naja, du hättest dich aber auch vorher anmelden können, dann wäre uns diese Überraschung erspart geblieben. Als du gestern bei mir drei Becher Limonade gekauft hast, hättest du mich fragen können.«
Lukas' Gesichtsausdruck entspannte sich augenblicklich. »Ich danke dir so. Da bin ich echt erleichtert. Ich hatte schon Angst, du wärst mir böse, weil ich dir das nachmache und auch einen Limonadenstand eröffnen möchte.«
»Jeder hat das Recht, einen eigenen Stand zu eröffnen. Eigentlich bin ich sogar froh darüber«, gestand Lisa. »So muss ich kein schlechtes Gewissen haben, die Leute könnten während meiner Abwesenheit meine Limonade vermissen.«
»Das finde ich interessant«, amüsierte sich Georg. »Dein Schulfreund schleicht sich heimlich in unsere Garage, nur um deinen Limonadenstand zu fotografieren.«
»Der Stand ist auch außergewöhnlich schön und zudem sehr praktisch«, sagte Enzo.
»Ja, das stimmt«, war Lukas derselben Meinung. »Ich habe noch nie einen so schönen Verkaufsstand gesehen.«
»Vielen Dank«, freute sich Ingo, der den Stand für Lisa gebaut hatte. »Wenn wir von den Ferien zurück sind, kann ich dir helfen, einen ähnlichen Stand zu bauen, Lukas.«
»Was?« Lukas war außer sich vor Freude und strahlte übers ganze Gesicht. »Das würdest du für mich tun? Das wäre echt klasse. Wann werdet ihr zurück sein?«
»Wir hatten vor, drei Wochen zu bleiben«, informierte Georg. »Du musst dich also noch eine Zeit lang gedulden.«
»Weißt du was? Du kannst so lange meinen Stand nehmen«, bot Lisa an. »Während wir weg sind, steht er sowieso nur in der Gargage rum.«
Lukas rannte auf Lisa zu und umarmte sie herzlich. »Danke, danke, danke. Du bist die Beste, Lisa!«
»Hey, übertreibt doch nicht so«, rief Enzo und zog Lukas von Lisa weg. »Ihr seid ja wie ein Liebespaar.«
»Das ist wohl einer eifersüchtig«, sagte Georg, worauf Ingo, Lisa und Lukas lachten.
»Unsinn«, wehrte sich Enzo. »Sommersprosse kann umarmen, wen sie will.« Dafür bekam er von Lisa einen Fausthieb auf den Oberarm. »Achte auf deine Worte, Lockenkopf.«
»Wie viel Prozent der Einnahmen möchtest du eigentlich für deinen Verkaufstand haben, Lisa?«, wollte Lukas wissen.
»Ich möchte gar nichts haben«, lehnte Lisa ab.
»Doch, ich bestehe darauf, dir wenigstens 30 Prozent der Einnahmen zu geben«, meinte Lukas. »Das ist sozusagen die Miete für den Limonadenstand. Wenn du dich weigerst, lehne ich das tolle Angebot leider ab.«
»Hey, das wäre auch eine tolle Idee«, lachte Ingo und wirkte sehr nachdenklich. »Ich könnte Limonadenstände bauen und diese vermieten. Ich könnte eine Limonadenstandvermietung eröffnen und würde jeden Sommer viel Geld verdienen, ohne, dass ich etwas dafür tun müsste.«
»Ich werde auf keinen Fall Geld von dir nehmen, Lukas«, blieb Lisa stur.
»Nehme doch das Geld und spende es an ein Tierheim, Lisa«, empfahl Ingo. »Du wolltest doch sowieso einen Teil deiner Einnahmen spenden?!«
»Stimmt. Damit kann ich leben. Abgemacht«, willigte Lisa ein. »Ich werde meinen Anteil an ein Tierheim spenden.«
»Du kannst den Handwagen nehmen, der dort in der Ecke steht, um den Stand zu transportieren, Lukas«, wies Georg hin. »Warte aber bis der Regen vorbei ist, damit der Stand nicht nass wird. Wir müssen jetzt los, sonst verpassen wir unseren Zug.«
»Das werde ich tun, vielen Dank«, bedankte sich Lukas. »Ich wünsche euch schöne Ferien.«
»Wir dir auch«, sprach Enzo für seine Freunde mit.

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